Klinik und Pflege

Kommunikative Verwundbarkeit

Ein Klinikaufenthalt stellt eine Ausnahmesituation dar. Sowohl Patienten/Patientinnen als auch ihre Angehörigen haben einen großen Bedarf an Kommunikation, wie z.B. für Fragen oder Gespräche. Dabei gibt es eine große Gruppe von Personen, die im Bereich der Kommunikation besonders verletzlich bzw. verwundbar sind (Costello 2010).

Dazu gehören Menschen mit (Costello 2010)

  • sprachlichen Einschränkungen aufgrund vorbestehender Hör-, Sprach- und kognitiven Einschränkungen mit oder ohne UK-Unterstützung
  • aktuell erworbenen Einschränkungen der Kommunikation als Resultat einer fortschreitenden Erkrankung, eines Unfalls, eines Ereignisses oder Palliativ-Patienten/Patientinnen
  • temporären Einschränkungen in der Kommunikation, die auf eine medizinische Behandlung zurückgehen (Beatmung, Sedierung)
  • sprachlichen Einschränkungen, z.B. aufgrund kultureller Unterschiede, differenten Sprachniveaus, reduzierten medizinischen Sprachkenntnissen oder Lese-/Rechtschreibschwierigkeiten.

Dabei können Kommunikationsbarrieren zwischen Patient/-in und Angehörigen, Arzt/Ärztin, Pflege oder anderen medizinischen Berufsgruppen auftreten. Je nach zugrunde liegender Störung kommt es zu Schwierigkeiten im Sprechen oder im Verstehen von Sprache.

Mögliche Kommunikationsanlässe

  • medizinisch relevante Informationen geben (Schmerzen, Allergien)
  • emotionale Bedürfnisse benennen und soziale Interaktion herstellen
  • Kontrolle erhalten (Stopp, Nein, Ja, Weiß nicht)
  • Persönlichkeit ausdrücken
  • einfache Anweisungen geben (z.B. Bett verstellen, Lippen befeuchten)
  • Hilfe rufen, um Unterstützung bitten, Aufmerksamkeit erregen (Schwesternruf)
  • medizinische Informationen verstehen

Die Interventionen sind nicht für alle Patienten/Patientinnen gleich. Der Kontext spielt eine wesentliche Rolle: handelt es sich um ein Kind oder einen Erwachsenen? Wie ist der kognitive Stand? Ist es eine planbare Behandlung oder eine Akutversorgung? Handelt es sich um eine palliative Begleitung? Wie ist der Entwicklungsstand? Wie sind die motorischen Fähigkeiten?

Unterschiedliche Schwerpunkte und Zielsetzungen

Je nach Verfassung und Krankheitsverlauf ergeben sich unterschiedliche Schwerpunkte und Zielsetzungen

  • ja, nein, ich weiß nicht, was anderes
  • den Schwesternruf betätigen, Aufmerksamkeit der Angehörigen oder des Personals erregen
  • einfache Symboltafeln mit bedürfnisorientierten Aussagen
  • Vokabular zu Körper- und Wohlbefinden sowie zu persönlichen Interessen
  • Buchstabentafeln
  • komplexere elektronische Kommunikationshilfen mit natürlicher oder synthetischer Stimme mit Vokabularstrategie und/oder Buchstaben/Schriftsprache
  • Umfeldsteuerung, Musik, Videofunktion, Internetzugang, Telefonoption

Es muss geprüft werden, mit welcher Ansteuerung der/die Patient/-in zu einer erfolgreichen Kommunikation gelangen kann (direkt, Partnerscanning, Augensteuerung, etc.). Aber auch hygienische Anforderungen müssen berücksichtigt werden. Bei planbaren Eingriffen und Intensivaufenthalten sollte vorab die Kommunikation thematisiert werden.

In der Vorbereitung werden den Patienten/Patientinnen und Angehörigen Situationen und Abläufe erklärt und entsprechendes (individuelles) Vokabular oder Abläufe vorbereitet. So ist der/die Patient/-in mit der Kommunikationssituation und -art vertraut und muss im fremden Umfeld nicht auch noch diese Fähigkeit neu erlernen. Dies reduziert negativen Stress.

Im Bereich Palliativmedizin sind das Ausdrücken von Bedürfnissen, das Herstellen sozialer Nähe, das Herstellen von Wohlbefinden und das Herbeirufen von Hilfe vorrangig zur Verfügung zu stellen.

Wahrnehmen, Überprüfen, Bereitstellen

Bevor man Patienten/Patientinnen in ihrer Kommunikation stärken und unterstützen kann, gilt es zunächst bei allen Beteiligten das Bewusstsein für möglicherweise auftretende kommunikative Einschränkungen im Klinikalltag zu fördern und die Wichtigkeit der Förderung der kommunikativen Fähigkeiten als Beitrag zur Lebensqualität und Genesung zu sehen. Die Wahrnehmung für Patienten/Patientinnen mit möglichen Kommunikationseinschränkungen muss gestärkt werden. Hierbei kann eine Checkliste helfen, die als Ziel das Aufzeigen von Risikopatienten/ -patientinnen und das Screening der kommunikativen Fähigkeiten hat (siehe z.B. Material zum Download).

Nach dem Assessment der kommunikativen Fähigkeiten werden basierend darauf Materialien und Vorgehensweisen bereitgestellt, die Patienten/Patientinnen aus ihrer kommunikativen Not befreien können.

Als nächster Schritt gilt es mögliche Kommunikationspartner zu instruieren bzw. zu informieren, wie die Person kommuniziert und wie evtl. vorhandene Kommunikationsgeräte eingesetzt werden (Kommunikations-Pass am Bett, Ich-Wandblatt, Anleitung der Angehörigen).

Folgende niederschwellige Kommunikationsmittel sollten auf jeder Station vorhanden sein

  • Kommunikations-Pass mit Instruktionen
  • Kommunikationstafeln für die Themen: Schmerz, Bedürfnisse, Körper, Gefühle
  • Buchstabentafeln: einfach, komplex
  • Ja-/Nein: Wortkarten/Symbolkarten
  • Ja-/Nein-Code: Information
  • Ja-/Nein-Fragen: Hierarchie
  • Whiteboards als Schreib-/Zeichentafel
  • Thementafeln zum Ermöglichen von Hinweisen für Gesprächsthemen
  • symbolhafte und schriftsprachbasierte Darstellung von Routineabläufen
  • Adaptionsmöglichkeiten des Schwesternrufes (Tasten)

Bei der Bereitstellung des Materials sollte beachtet werden, dass die Tafeln sowohl für direktes Zeigen, als auch für das Partnerscanning über Augen oder Abfragen geeignet sind. Außerdem sollten sie symbol- und schriftsprachbasiert vorliegen.

Im weiteren Verlauf sollte der Einsatz von einfachen und/oder komplexen UK-Hilfsmitteln geprüft und ggf. erprobt werden. Geräte, wie zum Beispiel PowerLink, Step-By-Step, GoTalk, QuickTalker, tabletbasierte Lösungen mit entsprechenden Apps sowie komplexe Kommunikationsgeräte mit diversen Kommunikationsstrategien und unterschiedlichen Möglichkeiten der Ansteuerung bieten hier eine breite Palette an Möglichkeiten zur Unterstützung von Kommunikation, Beschäftigung und Selbstbestimmung.

Sammlung von UK Materialen für den Klinikeinsatz

Neben der Sensibilisierung für das Thema, stehen bereits verschiedene Materialen für die Umsetzung teilhabeorientierter Kommunikation in der Klinik bereit. Dabei handelt es sich um konkrete Materialen wie Kommunikations-/Schmerztafeln, Ja/Nein-Codes u.a. sowie Anleitungen, Checklisten und Vorschläge für die Umsetzung von UK in Kliniken.

Hier einige „Material-Lieferanten“ im Überblick:

Weitere Materialien

zusammengestellt von Birgit Hennig, Beratungsstelle für UK, CvO Universität Oldenburg, August 2018 (vielen Dank hierfür!)

Bebilderte Anleitungen

Tip-Doc

  • Bildgestützte Kommunikation, Setzer Verlag: http://www.setzer-verlag.com
  • umfangreiche mehrsprachige Materialien zu Anamnesegesprächen in der Notfallmedizin, für die Pflege und zur spezifischen Klinik einzelner Erkrankungen und Situationen (z.B. Gynäkologie
  • umfangreiches mehrsprachiges Aufklärungsmaterial zu einzelnen Erkrankungsbildern (z.B. HIV, Hepatits B, Hepatits C)
  • zum Teil zum freien Download, ein Teil kostenpflichtig über Bestellung (s.unten) Materialien medizinisch detailreich, vom visuellen Layout z.T. „überladen“ Materialien von widgit-health
  • (Symbolsystem: widgit-symbols): https://widgit-health.com/downloads/index.htm
  • zahlreiche Materialien zum kostenlosen Download, einige käuflich zu erwerben (s. unten
  • Patient communication sheets: http://widgit-health.com/patient-communication-sheet.htm
  • bebilderte Abläufe zur Aufnahme, zu verschiedenen Untersuchungen (z.B. was passiert bei einem EEG, einer Blutentnahme, einer Tracheostomie? Was passiert bei einer Impfung?) und zur Gesundheitsfürsorge (z.B. Bluthochdruck, Diabetes, Zahnarztbesuch) (nur in Englisch)
  • „bedside-messages“ für Patienten in 30 Sprachen
  • Kommunikationstafeln für Erste Hilfe Situationen und Krankenhaus in verschiedenen Sprachen
  • hilfreiche Bildsymbolkarten zur Ankündigung von Pflegehandlungen und Untersuchungen

App: Virginia 3.1

  • kostenlose App für Android
  • https://play.google.com/store/apps/details?id=app.virginia.firstrelease&hl=de
  • thematisch geordnetes, krankenhausspezifisches Vokabular mit dynamischer Navigation über mehrere Ebenen; differenzierte Aussagen u.a. zu Schmerzen, Befinden, Bedürfnissen, Pflegeaspekten und Mediennutzung
  • Darstellung in Symbolen mit Schrift (die Übersetzung „hinkt“ teilweise etwas);
  • Kernvokabular (nochmal, Ja, Nein, Schluss, Danke) auf allen Seiten zugänglich, Alarmruf auf der Hauptseite
  • einzelne individuelle Aussagen können ergänzt werden (z.B. persönliche Informationen und Liste von Vorlieben/ Abneigungen); leider stürzt App dabei manchmal ab
  • auch in weiteren Sprachen erhältlich

App: Second Voice

  • kostenlose App für Andreoid in 8 Sprachen (zur Zeit nicht im google-play-shop zugänglich)
  • Webseite des Entwicklers: https://zadig.it/lamiavoce
  • entwickelt von Ärzten und Pflegekräften unter Mitarbeit einer italienischen Klinik für Onkologie, spezialisiert auf die Tumorbehandlung von Tumoren im Kopf- und Halsbereich
  • thematisch geordnetes Vokabular über 2 Ebenen mit Scrollfunktion für den Überblick über alle Items; differenziert zu Bedürfnissen der Pflege, Wohlbefinden und Fragen zur eigenen Situation sowie allgemeine Gesprächsführung
  • bildbasiertes, mit Schrift unterlegtes krankenhausspezifisches Vokabular
  • weitere Ikonen und individuelle Informationen können ergänzt werden
  • Wahl weibliche oder männliche Stimme
  • Favoriten können markiert werden
  • zusätzliche whiteboard- Funktion zum Zeichnen und schreiben
  • bis zu je 10 Aufnahmen können auch aufgesprochen oder schriftlich mit Sprachausgabe ergänzt werden
  • Ja-Nein-Ich weiß nicht + Alarmruf auf jeder Unterseite zugänglich

App: CommunicaeTEA

  • neuerdings fürs I-Pad (vorher Android)
  • https://itunes.apple.com/de/app/comunicatea-hus-surestea/id1064952135?mt=8
  • spanischsprachige App, die entwickelt wurde, um Kinder auf einen Krankenhausaufenthalt sowie spezifische Abläufe und Untersuchungen im Krankenhaus vorzubereiten
  • die meisten Untersuchungen sind sowohl in Piktogrammform als auch als Fotoserie des Ablaufs darstellbar und abrufbar; krankenhausspezifisch und äußerst umfangreich!
  • Beispiele für Untersuchungen und Abläufe: Blutabnahme, Verband anlegen in Varianten, EKG, EEG, MRT, Ultraschall, Lumbalpunktion, Sonden, Katheder und Zugänge legen (verschiedene), Routinehandlungen der Pflege (Temperatur, Puls, Blutdruck usw.)
  • ohne Spanischkenntnisse ist die die Navigation etwas erschwert, aber die einzelnen Piktogrammserien sind sprachfrei und können somit auch ohne Spanischkenntnisse verwendet werden

App: Pain Rating Scales

  • kostenlose App für Android https://play.google.com/store/apps/details?id=com.etz.painassessment&hl=de
  • eine große Auswahl an unterschiedlichen Schmerzskalen mit Hinweisen zum Erhebungsinstrument und zur Auswertung
  • englischsprachige App, aber einige Skalen sind sprachfrei und funktionieren über Visualisierung (z.B. smileys, Zahlenfelder, Farben, Balken)
  • bei Vorhandensein eines Tablets kann der Patient in einfacher Weise und unmittelbar am Krankenbett zur Schmerzeinschätzung und/oder zur Wirkung von Medikamenten befragt werden (er tippt auf das entsprechende Feld oder verschiebt einen Balken entsprechend der Schmerzstärke

Diverse Apps mit der Funktion “text to speech” für Andreoid und Apple

  • Diese Apps eignen sich, wenn (vorübergehend) „nur“ das Sprechen ohne gravierende Einschränkungen der Handmotorik oder des Visus beeinträchtigt ist
  • einfache Apps synthetisieren die über die Handy- oder Tablettastatur eingegebene Schrift in Lautsprache (z.B. „Laber“, „Sprachausgabe“, „write & Talk lite“)
  • im Aufbau komplexere Apps bieten zusätzlich die Funktion eines Satzspeichers und weitere individuelle Anpassungen (z.B. „meine zweite Stimme“ oder „SprachAssistent“)
  • eine entsprechende Auflistung von unterschiedlichen, kostenlosen oder mit geringen Kosten verbundene Apps mit Beurteilung findet sich auf der Seite www.kommhelp.de

App: gebaerden lernen

  • mit Link zur entsprechenden Webseite: http://www.gebaerdenlernen.de
  • umfangreiche App und Webseite zu DGS, unter Regie einer sehr engagierten Privatperson (Henrike Maria Falke) gestaltet
  • auf der Webseite finden sich zwei aufeinander aufbauende Tutorials „DGS für Mediziner“. Zielgruppe des kostenlosen online-Kurses sind „Medizinstudenten, fertige Ärzte und alle sonstigen Interessenten“; die App ermöglicht es, Gespräche mit Patienten, die DGS beherrschen, direkt zu führen
  • die Übungen orientieren sich an Anamnesegesprächen sowie an situationsspezifischen Formulierungen für spezifische Untersuchungs- und Behandlungsmethoden; des Weiteren wird Vokabular für die Anatomie des Menschen zur Verfügung gestellt; zusätzlich Fingeralphabet und Zahlen
  • typische Satzphrasen aus Arztgesprächen sind in die Grammatik der Gebärdensprache übersetzt und können zusätzlich über Video abgerufen werden (zum Lernen oder als unmittelbare Unterstützung in einem Gespräch bei noch nicht ausreichenden Kenntnissen der DGS)
  • ergänzend steht ein umfangreiches Manual von knapp 30 Seiten zum Download bereit
  • didaktische Übungsformate und Rollenspiele sollen (zukünftig) das Selbstlern- Onlinetutorial sinnvoll unterstützen

Kostenpflichtige Materialien in Ergänzung zu den Materialien oben:

Hard, N. (2014). Kommunikationshilfen: für die stationäre und ambulante Pflege. Untertitel in 8 Sprachen. Schlütersche Verlag

  • Fotobasiertes Buch zu Basishandlungen und - bedürfnissen in der Pfleg• eignet sich zum Unterstützten Input und Output zur Sicherung der Verständigung mit fremdsprachigen oder aphasischen Patienten
  • Bezugsadresse: Buchhandel

Knoblich, P. & Sepperl, A. (2015). „Sprechzeichen - Kommunikationshilfe für den Pflegebereich“, 2. Auf., Sprechzeichen GbR

  • nach Kategorien sortiertes Buch mit Piktogrammen für den Pflegebereich, inklusive Schmerzskala und Buchstabentafl
  • als Fächer gestaltet; zum Zeigen oder systematischen Abfrage
  • in Deutsch oder Englisch
  • in teurerer Version wischfestes Material der Seiten zur Desinfektion
  • Bezugsadresse: http://www.sprechzeichen.de

Widgit Health: Kommunikationsbücher und -materialien (in Englisch)

  • symbolbasiertes Buch „Mental Health Pack"
  • Symbolbasierte Bücher „First Aid“/ „First response“
  • Patient communication sheet, Patient communication board (desinizierbar), ICE communication cards
  • Bezugsadressehttps://widgit-health.com/products/index.htm

„Verständigungstafeln“ / Verlag Hawelka, 2007

„Tip-Doc“ Setzer Verlag

  • Zahlreiche Materialien für die Notfallmedizin, Anamnese und Pflege
  • „Emergency“ auch als App erhältlich
  • Übersicht, Preise und Bezugsadresse: http://www.setzer-verlag.